Mittwoch, 23. Mai 2007
1. Kapitel - Entwurf
In der Torstraße in Berlin-Mitte, in einem dieser Eckhäuser, deren zu Maisonette-Wohnungen umgebaute Obergeschosse mühelos die Bewohner einer mittleren Kreisstadt hätten beherbergen können, lag eines Morgens Pia von Ablamow in ihrem Bett.
Sie war eine mittelgroße Frau Anfang Dreißig, hatte ein angenehmes, aber unauffälliges Äußeres und dunkelolivfarbene Augen. Pias Gesichtsfarbe war weder besonders rosig noch sonnengebräunt noch blass, vielmehr von einem undefinierbaren Grau. Zusammenfassend hätte man ihr Aussehen auch als schwer einprägsam bezeichnen können.
Manchmal verdüsterte sich ihr Blick plötzlich und sie wirkte auf Außenstehende vollkommen abwesend.

Sie trug einen seidenen Kimono von Sai So, dessen Schlafzimmerglamour jedoch aufs Übelste durch den Anblick ihrer schlecht rasierten, in Filzpantoffeln steckenden Beine ruiniert wurde.

Das Herumliegen war für Pia weder eine Notwendigkeit, noch eine Zufälligkeit, sie lag stets in ihrem Bett, umgeben von Stoffkissen verschiedener Größe, mit denen sie sich je nach Bedarf eine Sitzburg für sich und ihr iBook baute, oder sich gemütlich in sie hineinkuschelte um Hörbücher zu hören oder zu lesen.

Das Bett war ein prunkvolles Eisenbett mit keltischen Ornamenten, welches sie sich in den Glanzzeiten ihrer universitären Karriere handgegossen aus Schmiedeeisen in einer Designerfirma in den Niederlanden hatte anfertigen lassen.

Das düstere Berliner Zimmer hatte viel von seinem ursprünglich einmal dagewesenen Charme durch Verwahrlosung eingebüßt.Die ganze riesige Wohnung beherbergte Gegenstände, durch deren gezielten e-Bay-Verkauf man mühelos eine Flüchtlingsfamilie hätte ernähren können. Vom Thorens-Plattenspieler über mehrere Spiegelreflexkameras, alte Laptops, kistenweise ungeordnete Bücher und CDs sowie verschiedenen anderen Gebrauchsgegenständen, von denen nur noch ein Bruchteil funktionierte, war alles vorhanden. Der gesamte Unrat war mit einer Staubkruste mit gelegentlichen, wiederum von dünneren Schichten bestäubten Fingerspuren bedeckt.

Pia war heute entgegen ihrer Gewohnheit schon sehr früh, gegen zehn Uhr etwa, aufgewacht. Eine unangenehme e-mail ihres Fondverwalters hatte sie am Wiedereinschlafen gehindert und sie telefonierte den ganzen Vormittag wild in der Gegend herum.

"Yvonne!"

Yvonne war eine Anglistikstudentin aus Sielow, die unentgeltlich bei Pia wohnte und dafür sämtliche Putz- und Einkaufsdienste übernahm.
Zunächst rührte sich nichts, doch kurze Zeit später stand die wasserstoffblonde, zierliche Person an Pias Bett.

"Was willst du?", herrschte Pia sie an, die schon wieder das Telefon am Ohr hatte.
"Sie ham mir doch jerufen", entgegnete Yvonne
"Geh mal wieder zurück in dein Zimmer, vielleicht fällt es mir wieder ein, wenn du weg bist".
Als sie wiederkam, erfolgte die übliche Beschwerde über Yvonnes Unfähigkeit, Ordnung in der Wohnung zu halten.
"Jehnse doch mal 'n janzn Tach weg, dann räum ick die Hütte uff, datt allet nur so jlänzt"

"Wat ich vajessn hab, ihn zu sagn: Heut früh war der Hausvawalta da un' sacht, dat wa sofort ausziehn müss'n, wegen Eigenbedarf oder son Ding."
"Sprich bitte Hochdeutsch, ich kriege Kopfschmerzen von diesem prolligen Gedröhne".
"Ganz wie Madame wünschen" Sie war die Launen ihrer Mitbewohnerin gewöhnt. "Jedenfalls sollen wir bis zum Monatsende hier raus. Der sah aus, als ob er das Ernst meint".
"Papperlapapp. Kümmere du dich bitte um deine eigenen Angelegenheiten. Und jetzt geh kochen, ich habe zu tun".
"Ich muss gleich zur Uni. Ich koche heute abend", sagte Yvonne im Rausgehen.
"Uni?! Dass ich nicht lache! Diese brandenburgische Friseuse hält sich doch tatsächlich für eine Intellektuelle. Pah! Der Untergang des Abendlandes ist das!" sprach Pia zu sich und beschloss, noch ein ausgedehntes Nickerchen zu halten, bevor sie sich den unangenehmen Fragen des Fondverwalters widmen würde.

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Oblogmowerei
In Anlehnung an die literarische Figur von I.A. Gontscharow soll an diesem Ort sein zeitgenössisches, scheinbar faul und eitel vor sich hin bloggendes Pendant erschaffen werden. Ziel ist es, einen möglichst realistischen Vertreter der digitalen Bohème zu zeichnen, - in diesem Falle eine Sie - der den Großteil seines Lebens mit dem iBook im Bett verbringt.

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